Statements zum 11.9. und 11.10. 2001
'Zardoz' Christian Schönwetter

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Statement 11-09-01:

 

Im Namen von progressiver Kunst, Gewaltlosigkeit und einer Weltordnung des freien Geistes möchte ich zu den kürzlichen Ereignissen ein Statement abgeben: Dieser 11. September ist ein Tag, der das Gesicht der Welt verändern wird, der dem Hass Züge verleiht, die seit über fünfzig Jahren beinahe vergessen waren. Nicht nur ist durch die Anschläge in New York und Washington am heutigen Tag der Frieden der Menschheit in Frage gestellt, der in der Anerkenntnis von Werten wie Leben und Menschenwürde sein wichtigstes Fundament hatte, es ist auch ein Tag an dem der Geist in der Welt den Herzschlag verweigerte -

Die Folgen auf das Gleichgewicht der äußeren Welt sind nicht absehbar; mehr noch aber dürfte ein Riß durch die anderen, nichtmateriellen Ebenen geschlagen worden sein, gleichsam eingebrannt in das kollektive Bewußtsein aller Menschen; vergleichbar in moderner Zeit vielleicht nur mit dem Grauen von Hiroshima. Was bleibt an diesem Tag, da der schwärzeste Abgrund der Vorahnung sich erfüllte und seine stinkenden Innereien über die Welt stürzte, als die Hoffnung, dass wir uns nicht selbst in eine neue Apokalypse von Hass und Zorn stürzen mögen, der die Welt wie ein Keil zerspalten könnte. So zwiegespalten wie an diesem Tag die Welt ist, ist auch mein Schlußwort: Mein Gerechtigkeitsgefühl ist stark genug um eine Sühne der Verantwortlichen zu hoffen, mein magisches Bewußtsein aber haucht mir die Gewißheit ein, dass nur ein gewaltfreies Vorgehen jemals eine Bewegung zum Positiven erzielen kann... Entgegen unseres sonstigen Skeptizismus gegen die Staaten, die heute Trauer tragen, erklären wir heute unsere Solidarität: denn es verbindet letztlich die Kultur und freiheitliche Grundordnung und der Glaube an eine Welt in Frieden uns als Künstler mit der Union Europas und den USA!

Zardoz, netzmeister

 

Supporting progressive art., the absence of violence and a world order of free thought, I’d like to give a statement concerning recent incidents: This 11th of September is a day that certainly will change the face of this world - turning out strains of hate almost forgotten during the last 50 years. Not only do the attacks of New York and Washington today question peace of mankind, witch is founded in the holiness of life and humanity, this day also all Spirit held its breath - and still lies in a coma...

Results in the outer world cannot be estimated so far, but more than that the fabric of the other, immaterial plains is likely to be torn so heavily, as if burnt into the collective soul of mankind, maybe only alike in modern times in the terror of Hiroshima. What is left, this day, that the blackest abyss of foreshadowing turned over and quenched humanity in stinking filth, is merely the hope that mankind may not throw itself into another apocalypse of hate and wrath, which could dissect the world in two pieces like a scalpel. So broken as the world is today, is also my conclusion: my sense for justices wishes for a revenge on those responsible, but my spiritual awareness nevertheless whispers to me, that only the abstinence of brutality and force can ever reach for a movement towards a better world... Against all scepticism against this nation, that is broken today, we today wish to declare solidarity - because we, as free artists, are connected to Europe and thus the USA by culture and a belief in safety, freedom and peace in the world!

zardoz, editor

 


 

Statement 11-10-01:

Liebe Freunde!

Nunmehr, 1 Monat nach den bekanntermaßen schrecklichen Anschlägen möchte ich wieder mein Wort erheben, um einen etwas anderen Blickwinkel zu beleuchten: zu gegenwärtig sind noch die Mechanismen von Angst, Haß und Gewalt am werke, dass ich Neues zur politischen Lege äußern würde. Aber zu nunmehr deutlich spürbare Veränderungen im literarisch-kulturellen Bereich möchte ich kommentieren. Strömungen und Tendenzen, die unbewußt bereits schwelten wie ein unterirdischer Lavastrom sind mit dem 11.September spätestens wieder aufgebrochen, zu Tage getreten und so offenbar geworden.

Man spricht allgemein vom "Ende der Spaßgesellschaft"; vor allem aber ist es für mich ein Ende der selbsterkorenen "Popliteratur" und der Konsumkultur. Es ist ein großer Wandel abzusehen, der sich in einem Abweichen zeigt, von der völligen Oberflächlichkeit und dem Abfeiern des Alltäglich-Belanglosen, und im neuerlichen Beginn einer Suche nach verschütteten Werten in der Tiefe! Diese Tendenzen sind wie gesagt nicht neu, aber nun stehen sie in einem neuen Licht. Wo bislang über Melancholie, Romantik und Gefühl wie als triviales Schwärmertum berichtet wurde, schaltet nun sogar die Frankfurter Buchmesse auf das Ende der "Spaßliteratur" um. Zugleich schreiben reihenweise Autoren in deutschen Zeitungen über das Versagen der großen Hoffnungen der jungen deutschen Literatur als kleinbürgerliche und kleingeistige Versuche eine Kunstform zu imitieren. So heißt es etwa im SZ-Magazin* die einschlägigen deutschen Popliteraten sein nichts als "Beispiele für die eigentümlichsten Phänomene am Vorabend des großen Wertewandels" und verkörperten "die krassesten Illusionen [und] arrogantesten Selbsttäuschungen" unserer Generation. Vielleicht ist jetzt wieder eine Nachdenklichkeit und Innerlichkeit gefragt, die verpönt war in einer Zeit, wo der Sinn des Lebens in hippen Klamotten, teuren Schuhen und einem möglichst silbernen Kraftfahrzeug gesehen wurde...

Auch die Untergrundliteratur wird sich verändern: Mit Abyss:Abgrund propagierten wir seit jeher eine innerliche "Literatur der Tiefe" und gemahnten zur Nachdenklichkeit. im Leben mag das Vergessen ab und an angemessen sein, aber die Aufgabe der Literatur ist es, Wunden aufzuspüren und vorzustoßen in deren Urgrund tief im Fleisch wo die Schmerzen geboren werden! So entsteht Veränderung - nicht über Äußerlichkeiten, sondern nur über die verborgenen -okkulten- Schichten des menschlichen Bewußtseins. Diese Ansichten dürfen nun offen ausgesprochen werden und auch wir werden weiterhin in der Reihe derer sein, die versuchen, das Bedürfnis für ein Eindringen in die tieferen Regionen der Seele und für Werte über den bloßen Materialismus hinaus, zu bedienen. Als solches wird sich für 2002 einiges am Programm von Abyss:Abgrund ändern, betreffend eine Reihe von Lesungen und Aktionen von zum Thema sowie die Herausgabe eines Jahrbuchs der dunklen Literatur, des Abyss:Abgrund Almanachs, der voraussichtlich an Stelle des Periodikums treten wird. Des Weiteren werden wir Aeonikon weiterführen, ein Projekt, dass Phantastik, Philosophie und Magie als Literaturformen zusammenführen soll...

In diesem Sinne, liebe Leser, Autoren und Verleger - ans Werk: werft von Neuem eure Senkbleie aus, um den Kern des Menschlichen zu erfahren und weiter an dem unlösbaren -den ewigen Fragen des Daseins- zu arbeiten!

 

'Zardoz' Ch. Schönwetter, zum 11. Oktober 2001

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*) "DER ERNST DES LESENS - Ein Abgesang auf die Deutsche Popliteratur", Jacob Heilbrunn in: Süddeutsche Zeitung Magazin, No.40 vom 5.10.2001; S.15 ff.

 

 

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