Zur Filmpremiere von "Der Herr der Ringe, Teil 1: Die Gefährten" am 19.12.01

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Mag nun die Verfilmung selbst im einzelnen die hoch gesteckten Erwartungen der Fans erfüllen oder nicht, folgendes jedoch zeichnet sich ab: es scheint, als markiere dieser Film eine Wende in der Bewertung des Phantastischen in unserer Welt; denn immer wieder ist vom Buch des Jahrhunderts die Rede, immer wieder vom Boom der Phantastik (gemeinsam mit dem gewissermaßen 'kleinen Bruder' Harry Potter, der die unbedarfteren Fantasyfans erfüllt)! Es ist zu hoffen, dass diese Entwicklung anhält und in den kommenden Jahren das Imaginäre auch weiterhin an Stellenwert gewinnen möge und im Ausgleich die Über-Bewertung des Rein-Materiellen in der Welt abnimmt. Vielleicht sind wir ja bald einem Zeitalter entwachsen, in der jegliche Phantasie als kindlich und infantil (so auch die Kritiken beim ersten Erscheinen des 'Herrn der Ringe' in den dreißiger Jahren!) angesehen wird; und vielleicht muß man sich bald nicht länger seiner Träume & Visionen schämen, sondern könnte im Gegenteil wieder das Tiefe Innere Gefühl unser Handeln bestimmen und der Glaube an das Wunderbare!

Endgültig und unwiderruflich ist zwar eine Verschiebung in Gang gesetzt, die die Religionen ablösen wird, aber noch ist der Kampf nicht entschieden, welche Werte die eröffneten Gräben und Leerstellen füllen werden. Denn in diesen Tagen ist die Matrix des Materiellen, das uns lange als einzige Wirklichkeit suggeriert wurde, geschwächt und so ist der Raum da, um in die Lücken wie Quecksilber die Visionen der Phantasie fließen zu lassen: mit jenen Mitteln der Imagination und Phantastik, für die J.R.R. Tolkiens Werk (i.e. Der Herr der Ringe, Der Hobbit und die Nebenwerke) als beispiellose Schöpfung heute steht. Die Bedeutung seiner Ansammlung von mythischen und vorzeitlichen Ur-Motiven des Menschen wird insbesondere deutlich, wenn man die immense Wirkung seines Werks untersucht. Insbesondere in der ehemaligen Sowjetunion, die spirituell über lange Jahre des praktizierten Materialismus weithin entwurzelt und ausgebrannt wurde , besitzt das Werk bei vielen Menschen einen Stellenwert, höher als der der Bibel. Dort, wo die Lücken zwischen Verlust von Glauben und Zerfall materieller Ideale am größten ist, regiert auch am meisten der Hunger nach neuen Visionen, nach Mythen und Legenden.

Tolkiens Werk ist heute ein Hauptwerk der magischen Weltsicht (vielfach ist es auch religiös ausgelegt worden) sowie der Beschreibung imaginärer (bzw. innerer) Welten; und in dieser reihe ist auch die neue Verfilmung zu feiern, als Visualisierung dieser Anschauung. Sowohl Buch als auch Filmwerk eröffnen einen neuen Zugang und begründen eine neue Wertigkeit für die überlieferten Ströme des Unbewußten, wie sie sich in Mythen & Legenden offenbaren. Denn es bedarf heute wohl kaum mehr der Erwähnung, dass letztlich die Märchen & Mythen aller Zeiten (eben auch wie sie sich im Herrn der Ringe ausformten) nichts anderes sind, als die Wiedergabe unseres Inneren Zustandes, der ur-menschlichen Kondition. So wie es einst die Religionen waren, und die ältesten Legenden, die heute beinah vergessen und nur noch in Träumen kurz aufscheinen, zeigen uns heute die imaginären Welten der Phantastik jene wahren Landschaften unserer Seele auf, die kein medizinisches Gerät erkunden kann. Bedenken wir also stets, dass das Erleben und Nachfühlen der menschlichen Mythen, insbesondere von Epen wie dem Herrn der Ringe keinesfalls leere Tagträumereien sind, sondern in Wahrheit bewußtes Wiederholen der Überlieferung, eine friedvolle Erweiterung unserer Sichtweise auf die grundwerte des daseins; so viel gehaltvoller wie das oftmals leere, am Rein-Materiellen orientierte Streben nach Macht & Besitz...

Zardoz, am 17.12.2001

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