aktuell: Müssen Gewaltspiele verboten werden?
(von 'Zardoz' Ch.Schönwetter)

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verfasst am 2. Mai 2002, zum Amoklauf von Erfurt ("Ex-Schüler richtet ein Blutbad an; 14 Lehrer, 2 Schüler u 1 Polizeibeamter tot")

Dieser Fall ist besonders erschreckend, weil er in dieser Intensität einen neuen Höhepunkt der Gewalt darstellt. Auch wenn sogenannte 'Amokläufer' (1) in den letzten 10 Jahren immer häufiger Schlagzeilen machen, forderten weder das Drama von Littelton (USA), vom Lokalparlament in Zug (Schweiz) oder in Nanterre (Frankreich) so viele Opfer. Die Parallele aber ist, dass es sich jeweils um den inszenierten Selbstmord von Einzeltätern handelte, die, um Rache an einer Institution zu nehmen, wahllos auf Individuen schossen.

Die Beweggründe für diese Taten liegen bereits in der Art. ihrer Begehung - den Suizid als Rachefeldzug für die Öffentlichkeit zu zelebrieren. Verbleibt die Frage nach den Hintergründen und Ursachen solcher Taten in der Gesellschaft. Insbesondere, ob solchen Taten in kollektiver Weise vorgebeugt werden kann und ob strafrechtliche Mittel Abhilfe leisten können.
Vermehrt werden nun wieder Rufe laut nach schärferen Gesetzen in Bezug auf Waffen(besitz) und Zugang zu Gewaltdarstellungen. Namentlich geraten Gewalt in Filmen und Computerspielen ins Kreuzfeuer und vielfach fordert man Zensur und Verbote. Nicht nur Politiker sondern auch Pädagogen, wie Jürgen Oelkers (2), fordern das Verbot gewaltverherrlichender Videospiele. Mit ihnen, so Oelkers, würden 'nicht nur Verherrlichungen männlicher Brutalität, sondern... allgemein nutzbare Tötungsanleitungen' vermittelt. Gemeint sind vor allem die sogenannten Shootem Ups, bei denen aus der Ich-Perspektive auf menschliche Körper (meist ohnehin als 'Roboter' o.ä. verharmlost) geschossen wird. Es mag sein, dass die Darstellung von Gewalt, auch gerade Menschen gegenüber zugenommen hat. Doch es bleibt fraglich, ob sich die Schraube überhaupt zurückdrehen läßt. In Zeiten, da eben jene Spiele (zB Quake, Counter Strike) absolute Marktführer sind und sich im ganzen Land Gaming-Clubs (Clans) formieren und das simulierte Töten gar in Ligen organisieren, in Wettbewerben also, bei denen es um bedeutende Preisgelder geht.
Strafgesetze helfen aber nur, wo auch ein Unrechtsbewußtsein besteht. Wo die allgemeine Akzeptanz schon so weit fortgeschritten ist, würden auch Verbote nichts mehr bewegen.
Werden also alle diese Jugendlichen zu Berufskillern? Sicherlich nicht; die Übertragung auf die Realität, wie bei den Amokläufern, erfolgt nur bei Menschen, die bestimmte soziale Risikodispositionen aufweisen.
Das gibt auch Oelkers in o.g. Artikel zu, meint aber, dass schon das Einüben von 'Handlungsmustern' für ein Verbot sprechen würde. Man muß dabei aber unterscheiden. Der gewöhnliche Spieler von Shootem Ups hat in der Regel kein Bewußtsein zu töten (4) und auch keinen Bezug zu realen Handlungsmustern; er befolgt lediglich die Anforderungen des Spiels (!), so dass es letztlich keinen großen Unterschied macht, ob der Spielende auf Körper oder Moorhühner schießt.
Derjenige dagegen, der bereits die Disposition zu Gewalttaten hat, wird überall passende Handlungsmuster zu seinen Phantasien finden. So wurde bekannt, dass die terroristischen Schläfer sich mit simplen Flugsimulationen für ihre Anschläge vorbereiteten. Deshalb den 'MS Flugsimulator' zu verbieten ist augenscheinlich absurd!

Und schließlich bleibt es sehr fraglich, ob ein solches Verbot wirklich die Gewaltneigung Einzelner ändern könnte. Gerade wegen der allgemeinen Akzeptanz von Gewaltspielen wäre die (illegale) Beschaffung, zB aus dem Internet, immer weiterhin möglich. Zum anderen hat der latent Gewaltbereite genug andere Möglichkeiten, sich auszuleben, wie etwa Gotcha-Spiele oder eben den Schützenverein, wie jener Junge aus Erfurt; dort lernt man scharfe Waffen handhaben, was doch viel eher zur realen Anwendung führt, als das hin- und herfahren einer Maus! Nur Sport? Ebenso ist eben das Videospiel nur Spiel... Bilder und Verständnismuster, die einem allerorts vermittelt werden und deren Nutzung im Alltag jedem Einzelnen obliegt.

Ein kollektives Verbot ist also gänzlich ungeeignet, um generelle Gewalt- und Tötungsbereitschaft zu verhindern, sondern meines Erachtens nur die Arbeit mit dem einzelnen Individuum. Es sind Individuen, die für ihr Versagen Institutionen verantwortlich machen - den Staat oder die Schule, suchen die Fehler nicht etwa bei sich selbst.
Dieses Fehlen an Einsichtsfähigkeit und Selbstkritik rührt zum einen am mangelnden (Selbst-) Verantwortungsgefühl, zum anderen an der Überschätzung der Rolle von Schule und Staat. In der Entwicklung des jungen Menschen aber kann die Schule nicht die Erziehung durch die Eltern ersetzen. Dafür gibt es "keine Stellvertretung [...]. Kinder integrieren sich nicht in die Gesellschaft, indem man sie der Schule oder [...] sich selbst überlässt." (5) Damit sind für die Isolationsängste der Heranwachsenden vor allem die Eltern verantwortlich; eine Verantwortung, aus der sich Erwachsene heute immer mehr davonzustehlen versuchen. So entsteht in Heranwachsenden leicht ein Gefühl des Alleingelassenseins, das zu solchen verheerende Folgen führen kann, wie in Erfurt.
Deshalb sind Eltern gefragt, ihrem Kind seelisch und erzieherisch beizustehen. vielleicht wäre auch die verstärkte Einrichtung von Jugendhäusern von Nutzen, um Treffpunkte für Heranwachsende zu schaffen und den Druck der Unzufriedenheit und die Angst des Versagens zu mildern und asoziale Orte zu schaffen, wo sich der einzelne nicht mehr so alleingelassen fühlt. (6)

Auch sollte man nicht außer acht lassen, dass die News-Medien, vor allem die Nachrichtensendungen der Privatsender die Wirkung dieser Art. von Gewalt potenzieren. Jetzt verteufeln die Medien die Computerspiele, zeigen aber explizite Ausschnitte daraus; auf einem öffentlichen Sender (7) lief sogar eine Computer-Simulation des Amoklaufs, was die ganze Diskussion pervertiert. Medienexperten sprechen jetzt warnend vom 'hohen Erregungspotential der Medien' (8), die den (vom Täter erhofften ) posthumen Ruhm einer solchen Tat erst ermöglichen.

Letztlich sind also nicht die Verbote eine Lösung, sondern eine neue Erziehungspolitik in der Gesellschaft: vom Umgang mit der allgegenwärtigen Gewalt in den Medien und mit den 'erregenden' Medienbildern. Denn wir müssen die manipulativen Vorgänge kenntlich machen und Erkenntnisse produzieren.“ (9) Nur so kann unsere Gesellschaft auf Dauer dem Zwang der Bilder entkommen und so ist es die Aufgabe von Kunst, Wissenschaft und Politik zu einer neuen Aufklärung beizutragen, um den alten Aberglauben auszuräumen, dass Bilder Macht über uns hätten. (10) Gerade die ambivalenten Möglichkeiten des Begreifens, die in den Bildern liegen, gilt es geschickt zu nutzen, so dass nicht die Bilder den Betrachter bezwingen, sondern umgekehrt!

Zardoz,
München 2.5.2002

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1) Man bemerke dass der Schüler aus Erfurt keineswegs im eigentlichen Sinne 'Amok' lief, sondern seine Tat über lange Hand vorausgeplant hatte.
2) Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 2.5.2002, S. 15: "Tödliche Handlungsstrukturen"
3)m Gegensatz zu Soldaten, die ausgebildet werden zum realen töten; daher hinkt auch der Vergleich solche Simulationen würden eingesetzt, um die Hemmschwelle von Soldaten herunterzusetzen. Eher sind ja diese Strategien gedacht, den Soldaten den Eindruck zu vermitteln, es gehe auch im Ernstfall um ein Spiel und etwaige Gewissenshemmungen auszuschalten.
4) Heute ist das Internet so unüberschaubar, dass eine Kontrolle praktisch nicht mehr möglich ist, insbesondere wenn eine Initiative nur von einem Land ausgeht.
5) Oelkers a.a.O.
6) Auf diese Weise wäre auch der Zustrom zu radikalen Vereinigungen, insbesondere zu Rechtsradikalen zu mindern, die Langeweile, Frustration und das Gefühl der Vereinzelung bei Jugendlichen ausnutzen.
7) im ZDF-Spezial am 31.4.2002
8) Peter Waibel im Interview mit H.Liebs, Süddeutsche Zeitung vom 2.5.2002, S. 15
9) Peter Waibel a.a.O.
10) Auch Waibel (a.a.O.) warnt vor zu großer Furcht - "dann laufe ich in die Falle der Ikonophobie, die den Bildern einen hohen Wahrheitsgrad zuschreibt, ihnen also zu] große Macht [über uns] gibt."
 

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