Stanislaw Przybyszewski:
Confiteor.

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[I]

“Wenn wir darangehen, unsere Auffassungen von der Kunst zu entwickeln, halten wir es für überflüssig, aus den Sätzen der Ästhetiker zu schöpfen, und für entbehrlich, die unterschiedlichen Urteile und ästhetischen Sprüche zusammenzupressen, und nehmen auch nicht an, daß wir etwas völlig Neues aussprechen, da wir jetzt aber den Kopf einer Zeitschrift bilden, der man einen eigenen Charakter verleihen muß, gilt es die prinzipielle Richtung abzustecken, in der die Zeitschrift geführt werden soll.

Kunst in unserem Verständnis ist weder ‚das Schöne‘ noch ‚ein Teil der Erkenntnis‘, wie Schopenhauer sie nennt, wir erkennen auch keine einzige der zahllosen Formeln an, die die Ästhetiker aufstellten, angefangen bei Platon bis zu den senilen Unge-reimtheiten Tolstois. –

Kunst ist die Nachbildung dessen, was ewig, frei von allen Veränderungen oder Zufälligkeiten, unabhängig von der Zeit und auch vom Raum ist, also: die Nachbildung des Wesenhaften, das heißt der Seele. Und zwar der Seele, offenbare sie sich nun im Weltall, in der Menschheit oder im einzelnen Individuum.

Kunst ist demzufolge die Nachbildung des Lebens der Seele in allen ihren Äußerungen, unabhängig davon, ob sie gut oder böse, häßlich oder schön sind. Eben dies ist der Kernpunkt unserer Ästhetik.

Die Kunst von gestern stand in den Diensten der sogenannten Moral. Selbst die gewaltigsten Künstler waren mit unwesentlichen Ausnahmen nicht in der Lage, die Erscheinungen der Seele losgelöst von so veränderlichen Größen wie moralischen oder gesellschaftlichen Begriffen zu erforschen, immer bedurften sie eines moralischen und nationalen Mäntelchens für ihre Schöpfungen. Die Kunst in unserem Verständnis kennt keine zufällige Klassifizierung der Seelenphänomene nach guten oder bösen, sie kennt keine Grundsätze, seien sie moralischer oder gesellschaftlicher Art: für den Künstler in unserem Verständnis sind alle Äußerungen der Seele gleich, er schätzt nicht ihren zufälligen Wert ein, rechnet nicht mit ihrer zufälligen bösen oder guten Rückwirkung, ob nun auf den Menschen oder die Gesellschaft, er wägt sie allein nach der Kraft, mit der sie sich kundtut.

Das Substrat unserer Kunst besteht für uns also ausschließlich in Form seiner Energie, vollkommen unabhängig davon, ob es das Gute oder das Böse, das Schöne oder Häßliche, Reinheit oder Harmonie, Zügellosigkeit, Verbrechen oder Tugend ist.

Der Künstler gibt deshalb das Leben der Seele in allen Erscheinungen wieder; ihn berühren weder die gesellschaftlichen, sozialen noch ethischen Gesetze, er kennt keine zufälligen Abgrenzungen, Namen und Formeln, keinen einzigen der Rinnsteine, Wasserzweige und Flußbetten, in welche die Gesellschaft den ungeheuren Strom der Seele gezwängt, worin sie ihn lahmgelegt hat. Der Künstler – ich wiederhole es – kennt nur die Kraft, mit der die Seele nach außen drängt.

Kunst ist die Offenbarung der Seele in allen ihren Zuständen, sie verfolgt die Seelen auf allen Wegen, sie stürzt ihr in die Ewigkeit und den Allraum nach, vertieft sich mit ihr in die Urlehme des Seins und greift nach den regenbogenfarbenen Gipfeln.

Die Kunst hat keinerlei Ziel, sie ist das Ziel an sich, das Absolute, denn sie ist der Widerschein des Absoluten – der Seele. Und da sie das Absolute ist, kann sie nicht gebändigt sein, kann sie nicht in Diensten irgendeiner Idee stehen, ist sie die Herrin, die Urquelle, aus der alles Leben hervorgetreten ist.

Die Kunst steht über dem Leben, sie dringt in das Wesen des Alldings ein, liest dem gewöhnlichen Menschen die verborgenen Runen, sie erfaßt das Allding von einer Ewigkeit zur andern, kennt weder Grenzen noch Gesetze, kennt allein die eine ewige Dauer und Macht des Seins der Seele, sie verbindet die Seele des Menschen mit der Seele der Allnatur, und als eine Erscheinung jener faßt sie die Seele des Einzelwesens auf.

Die Tendenzkunst, die Unterhaltungskunst, die belehrende, die patriotische Kunst, Kunst, die ein moralisches oder gesellschaftliches Ziel hat, hört auf Kunst zu sein, sie wird Biblia pauperum für Menschen, die nicht fähig sind zu denken oder zu wenig gebildet sind, um die zuständigen Handbücher lesen zu können – solche Menschen brauchen aber Wanderlehrer und nicht die Kunst. Belehrend oder moralisch Einfluß auf die Gesellschaft auszuüben, in ihr mit Hilfe der Kunst patriotische Gefühle oder soziale Instinkte zu wecken heißt die Kunst demütigen, sie von den Höhen des Absoluten in die armselige Zufälligkeit des Lebens hinunterzustoßen, und der Künstler, der das tut, ist des Namens Künstler nicht wert.

Die demokratische Kunst, die Kunst fürs Volk steht noch tiefer. Die Kunst fürs Volk ist die ekelhafte und flache Banalisierung der Mittel, derer sich der Künstler bedient, das plebejische Faßlichmachen dessen, was seiner Natur nach schwer faßlich ist. Das Volk braucht Brot, nicht Kunst, und wenn es Brot haben wird, dann findet es auch selbst den Weg. Die Kunst von ihrem Piedestal zu stoßen, sie auf allen Märkten und Straßen herumzuführen ist ein Sakrileg.

[II]

Die so verstandene Kunst wird höchste Religion, und Ihr Priester ist der Künstler. Persönlich ist der Künstler nur in der inneren Kraft, mit er die Zustände der Seele nachbildet, darüber hinaus ist er eine kosmische, metaphysische Gewalt, durch die sich das Absolute, die Ewigkeit, offenbart.

Er war der erste Seher, der jede Zukunft entschleierte und die Runen einer schimmelüberzogenen Vergangenheit deutete, er war der Magier, der die tiefsten Geheimnisse ergründete, die geheimen Verbindungen des Universums erfaßte, ihr wechselseitiges Aufeinanderwirken ahnte und entdeckte und sich aus diesem Wissen eine Macht schuf, die den Lauf der Sterne am Himmel zum Stehen brachte, er war der große Weise, der die geheimsten Ursachen kannte und neue, nie geahnte Synthesen schuf: dieser Künstler, ipse philosophus, daemon, Deus et omnia.

Der Künstler ist weder Diener noch Führer, er gehört weder einem Volk an noch der Welt, er dient keiner Idee und keiner Gesellschaft. Der Künstler steht über dem Leben, über der Welt, er ist der Herr der Herren, kein Gesetz zügelt ihn, keine menschliche Macht engt ihn ein. Er ist ebenso heilig wie rein, ob er nun die größten Missetaten nachbildet, die ekligsten Unräte enthüllt, wenn er die Blicke an den Himmel heftet und Gottes Licht erkennt. Denn er weiß nichts von Gesetzen noch Einschränkungen, die die Erscheinungen der menschlichen Seele in den oder jenen Rinnstein hineinstoßen, er kennt allein die Kraft dieser Phänomene, die in der Tugend ebenso stark ist wie im Verbrechen, in der Ausschweifung wie in der Sammlung des Gebets.

Der Künstler, der die ‚Armen im Geist‘ belehren, ihr Führer sein will, möge lieber Aufklärer bleiben oder die riesigen Phalanstères anlegen, von denen Fourier träumte, denn das Königreich der Armen im Geist – ist das Brot, nicht die Kunst.

Der Künstler, der sich den Ansprüchen einer einzelnen Gesellschaft fügt, sucht ihr zu gefallen, reicht ihr ein gut zerkautes und leicht verdauliches Futter (ich vergaß, daß ich vom Künstler redete, ich habe von einem Zugochsen zu sprechen begonnen).

Der Künstler, der Beifall ersehnt und sich über die geringe Anerkennung der Menge beklagt, steht noch im Vorhof der Kunst, fühlt sich noch nicht als der Herr, der nicht um Gunst bettelt, sondern sie mit freigebiger Hand in die Menge wirft und keinen Dank begehrt – diesen begehrt nur der Plebejer im Geist, ihn begehren nur Emporkömmlinge.

Der Künstler, der sich beklagt, daß er, wenn er die Schätze seines Geistes ausstreut, seine Seele bei der Berührung mit der Menge befleckt, hat die heilige Schwelle überschritten. Aber er täuscht sich. Der Mensch, der keine Gesetze anerkennt, der über der Menge, über der Welt steht, kann sich nicht beflecken.

Das Volk ist ein Teil der Ewigkeit, in ihm ruhen die Wurzeln des Künstlers, aus ihm, aus der Heimaterde zieht der Künstler seine lebensfähigste Kraft. Im Volk ist der Künstler verwurzelt, nicht aber in seiner Politik, nicht in seinen äußeren Wechselfällen, allein in dem, was im Volk ewig ist: seine Eigenarten unter allen anderen Völkern; eine unwandelbare und ewige Tatsache ist seine ethnische Herkunft. Deshalb ist es törichter Unsinn, dem Künstler in unserem Verständnis eine nichtnationale Haltung vorzuwerfen, denn in ihm drückt sich der ‚wesenhafte‘, innere Geist der Nation am stärksten aus, er ist dieser mystische König Geist, Ruhm und Christi Himmelfahrt des Volkes.

Es ist unsinnig, dem Künstler das ‚verschwommene Mystische‘ vorzuwerfen. Kunst in unserem Verständnis ist metaphysisch, schafft neue Synthesen, gelangt zum Kern des Alldings, dringt in alle Geheimnisse und Tiefen – und da gibt es noch Menschen, für die das Mystik ist (etwa wie Spiritismus – ha ... ha ...!). Auf alle nur möglichen Vorhaltungen, die uns begegnen können, wiederhole ich nochmals:

Wir kennen keinerlei Gesetze, weder moralische noch gesellschaftliche, wir kennen keine Meinungen, jede Äußerung der Seele ist für uns rein, heilig, ist Tiefe und Geheimnis, so sie kraftvoll ist.”

 

- entnommen aus: Przybyszewski: Confiteor. In: ders.: Kritische und essayistische Schriften, Paderborn 1992 [= Werke. Band 6]: Igel Verlag, S. 206-209. ISBN 3-927104-26-6 ; Kursivsetzungen und röm. Numerierung vom Herausgeber

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